Pressemitteilung: 10 Jahre Kunduz-Bombardement. Die Opfer sind nicht vergessen

Am 4. September 2009 blieben im Norden Afghanistans zwei Tanklaster einer Transportfirma, die von den Taliban kurz zuvor erbeutet worden waren, im Flußbett des Kunduz-Flusses stecken.

Die Versuche der Taliban, die Tanklaster mit allen Mitteln freizubekommen, schlugen fehl.

Die Bevölkerung von acht umliegenden Dörfern – Männer, Frauen und Kinder – versammelte sich zunächst als Zuschauer am Fluß.

Als die Taliban merkten, daß Flugzeuge im Anflug waren, verließen sie die Örtlichkeit und brachten sich in Sicherheit. Sie erlaubten der Bevölkerung jedoch, das Kerosin, das sich in den steckengebliebenen Tanklastern befand, abzuzapfen.

Gegen Mitternacht gab der deutsche ISAF-Oberst Klein zwei Kampfjet-Piloten der US-Streitkräfte den Befehl, die Bevölkerung rund um die steckengebliebenen Tanklaster zu bombardieren. Auf die Frage der erfahrenen Piloten, ob ihr Ziel die Lastwagen seien oder die Bevölkerung, antwortete Oberst Klein “die Menschen”.

Die Piloten zweifelten am gesunden Menschenverstand des Befehlsgebers und fragten erneut nach, ob sie anstelle eines Bombardements einen Sinkflug vornehmen sollten (Show of Force).

Dies verneinte der Oberst und befahl erneut das Bombardement der zusammengekommenen Menschen.

Die Piloten fragten erneut nach, ob von der Menschenmenge Gefahren zu erwarten seien. Oberst Klein antwortete wahrheitswidrig “ja”. Sodann wurde die Menschenmenge bombardiert und mindestens 139 Menschen wurden getötet.

Das Bombardement war nicht verhältnismäßig. Oberst Klein wollte, daß eine Armee (deutsche Bundeswehr), die bis dahin kaum in direkte Kämpfe mit dem Feind verwickelt worden war, Flagge zeigt.

Daher gab Oberst Klein ungeachtet der Normen der Zusatzprotokolle des Internationalen Roten Kreuzes zum Genfer Abkommen den Befehl vorsätzlich, um die Menschen am Boden zu töten.

Zu diesen Kriegsverbrechen wurde und wird in politischen Kreisen bis heute gelogen. Mal ist die Rede von Verhältnismäßigkeit oder Nicht-Verhältnismäßigkeit, mal wußten Politiker von nichts bzw. hatten keine Kenntnisse, obwohl die Angelegenheit in allen NATO-Kreisen in Afghanistan und hierzulande auch im Feldjäger-Bericht der Bundeswehr benannt wurde.

Unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Ereignisse durch Berichte von Feldjägern der Bundeswehr, der NATO, sowie auch von Amnesty International und UNAMA äußerte sich der damalige deutsche Verteidigungsminister Jung im Rahmen einer Pressekonferenz, in deren Verlauf er seinen Rücktritt bekanntgab, daß er den Feldjägerbericht der Bundeswehr zwar gelesen jedoch “nicht zur Kenntnis genommen” habe.

Seit dieser völkerrechtswidrigen Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung Afghanistans sind 10 Jahre vergangen. Die Forderungen der Opfer dieses barbarischen Bombardements nach Schadenersatz und Wiedergutmachung wurden jedoch seitens der deutschen Regierung bislang nicht anerkannt.

Das zivilrechtliche Verfahren ist beim Bundesverfassungsgericht unter Az. 2 BvR 477/17 anhängig. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist abzuwarten.

Das Strafrechtsverfahren (Strafanzeige gegen Oberst Klein) hat den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erreicht und der Große Senat hat die Sache zur Verhandlung angenommen.

Die Erinnerung an die Opfer wird wachgehalten – das Bombardement vom 04.09.2009 ist ein wichtiges Ereignis in der jüngeren afghanischen Geschichte und wird unvergessen bleiben.

Aus Anlaß des 10jährigen Jahrestages des Kunduz-Bombardements habe ich mit Hinterbliebenen der Opfer und dem Ältestenrat von Kunduz entschieden, bei den Sammelgräbern in Aliabad (Kunduz) ein Denkmal in Erinnerung an die Opfer dieses Bombardements zu errichten.

Bremen, den 03.09.2019

Karim Popal
Rechtsanwalt

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